„Ich bin so froh, dass ich in der lebendigsten Form des Musiktheaters gelandet bin, die es im Moment in der Welt gibt… !“ (zum Thema Musical)

Chris MurrayEr ist einer unserer bekanntesten und unbestreitbar einzigartigsten Musical-Stimmen Deutschlands. Der gebürtige Braunschweiger und US-Amerikaner hat so ziemlich alle Rollen verkörpert, die sich ein Sänger im Laufe seiner Karriere wünscht. Chris Murray war Jean Valjean, Jekyll & Hyde, Jesus, Javert, Van Helsing, Trumper… Derzeit spielt er u.a. in „ChristO- die Rockoper“ den Inspector X. Als Sohn eines renommierten Opernsängers hat er seine in die Wiege gelegten Gene zum Beruf gemacht und ist nicht unbegründet seit Jahren einer der gefragtesten, beliebtesten und erfolgreichsten Darsteller überhaupt. Der Wiedererkennungswert und die Power seiner Stimme lassen Kollegen, Fans und Kritiker gleichermaßen erstaunen und begeistern. Diese Stimme versteht er grandios und vorbildlich mit einem einwandfreien und überzeugenden Schauspiel zu kombinieren. Kein Wunder, dass er frenetischen Applaus und Jubelrufe auslöst. Bei all dem Erfolg ist Murray dennoch unglaublich bodenständig und nahbar geblieben, was er nicht zuletzt seinem Ruhepol im Leben, seiner Familie, zu verdanken hat. MFJ traf den sympathischen, schrägen, witzigen, aber auch ernsten und tiefsinnigen Darsteller in München.

(Muss erst einmal lachen, verschluckt sich dabei an seinem Hühnerfrikassee. Er simuliert dabei ein Herabfallen des Kopfes mitten ins Essen und witzelt dabei: „Er starb bei den Junghühnern!“)
Chris, Du pendelst von einem Engagement zum nächsten. Derzeit spielst Du in ChristO,  am 27.6. ist Premiere von „Chess“ in Dresden und bald geht auch die 2.Spielzeit von „Elisabeth-die Legende einer Heiligen“ in Eisenach an. Sag mal- wie schafft man diese immense Belastung?

Ehrlich gesagt ist es eine reine Fleißarbeit. Man muss Fünfe gerade sein lassen und das „um die Häuser ziehen“ weglassen und runterfahren. Man schuldet es dem Publikum und dem Abend, so viel wie möglich abzuliefern. Nur wenn ich das tue, bin ich auch der Darsteller, den ich gerne sehen möchte. Ich war selbst lange Zeit Theater-, Musical- oder Operngänger und ich habe es geliebt, wenn ich einen Darsteller gesehen habe, der jeden Abend nur gegeben hat. Ich will nicht sagen „alles gegeben hat…“, denn das ist plakativ. Aber jemand, bei dem Du merkst, dass er jeden Abend nach der Spannung, nach dem Publikum, sucht… der seine Hand herausreicht- nach Dir und wie Du da sitzt – und Dich aus deinem normalen Leben zu sich auf die Bühne reißt, das ist toll. Das ist auch mein Ziel. Die Arbeit ist teilweise ehrlich gesagt wirklich sehr viel, aber es ist ein Segen und ein Fluch gleichzeitig. Manchmal sitzt man auf der Couch, man hat nichts zu tun und denkt, „jetzt könnte aber mal was kommen!“ und dann kommen Zeiten, da rennt man nur wie ein Wahnsinniger von einem Punkt zum Anderen. Es ist so, aber ich sollte mich glücklich nennen, überhaupt diese Möglichkeiten bekommen zu haben, die ich bis jetzt im Leben geboten bekam.

Dazu gehört aber dann auch eine gehörige Portion Disziplin, was sicherlich nicht immer leicht ist.

Ja, das ist richtig. Zum Beispiel bin ich wegen der Promotion Veranstaltung auf dem Marienplatz um 7.30 Uhr aufgestanden. Ich hatte den Tag zuvor von Vormittag bis Spätabend Proben für „Chess“ in Dresden. Ich bin um 12.45 Uhr in München angekommen, um 13.00 Uhr begann die Promo. Wir haben gerockt und wir hatten richtig viel Spaß. Mit Andy Kuntz macht es mir sehr viel Spaß, weil wir auf der Bühne seelenverwandt sind. Wir spüren die gleichen Impulse. Das ist etwas sehr Schönes. Wir haben wir auf der Bühne so richtig rumgefetzt, das war echt klasse, aber danach muss ich zurückstecken. Ich würde gerne mit allen um die Häuser ziehen, fröhlich sein und feiern, aber ich weiß, es wäre falsch. Ich weiß, dann hätte ich am Abend nicht die Vorstellung geben können, zu der ich imstande bin. Es ist immer ein Zoll, den man zahlt. Man muss gewillt sein, diesen Zoll zu zahlen, denn wenn man es nicht tut, dann merkt das jeder da draußen. Die Leute wissen nicht, warum bzw. wieso, aber sie sagen auch nichts Besonderes zu der Show. Die Welt ist überschwemmt von Mittelmäßigkeit. Es ist eine sehr schwere Arbeit, etwas Eigenes zu kreieren. Das kannst Du nur, wenn Du im Kopf klar bist und ganz klar auf Dein Ziel fokussiert bist. Diesen Fokus darf ich nicht verlieren. Darum gehe ich nach Hause, oder ins Hotel, lege mich hin und konzentriere mich. Ich schaue mir nochmal meinen Part an und dann komme ich ins Theater und brüte noch einmal darüber.

Auch, wenn Du die Rollen schon mehrfach gespielt hast?

Chris MurrayDas mache ich bei jeder Vorstellung, besonders bei Repertoire-Vorstellungen. Diese nehme ich sehr ernst. Es hat sich in meiner Karriere gezeigt, dass die wichtigsten Vorstellungen nicht nur die Premieren sind, sondern auch die Shows danach. Du weißt nie, wer da draußen sitzt. Es kam so oft vor, dass jemand danach gekommen ist und gesagt hat, dass er mich da oder dort gesehen und gehört hat. Es hat ihm dann wohl gefallen und dadurch habe ich neue Angebote bekommen… das waren nicht nur Premieren. Ich bin mit unfassbar lieben Kritikermeinungen gesegnet. Ich habe in den letzten fünf Jahren so viele wunderbare Kritiken bekommen, das waren nicht nur die Premierenkritiken. Dann sind da auch die Fans, die mir überall nachreisen. Ich bin immer wieder darüber erstaunt, wenn mir jemand sagt, dass er beispielsweise 7 Stunden angereist  ist und dann mit dem Nachtzug wieder zurück fährt, NUR um mich zu sehen. Es gebührt sich, meinen Hintern vor der Vorstellung hinzulegen. …Ich  kann nur das geben, was ich wirklich kann, alles andere ist Quatsch. Wem das dann nicht gefällt, okay, das ist außerhalb meiner Kontrolle. Aber ich muss soviel geben wie ich imstande bin, damit ich vor mir stehen kann und sagen kann „ja! Das ist es!“ Nur dann kann ich fair sagen, dass ich meinen Teil des Deals erfüllt habe.
Man muss auch bedenken: Die Leute kommen zur Vorstellung und geben mir ihre Gedanken, ihre Zeit, ihr Herz für diesen Moment. Und darum- für diese Zeit muss ich einfach gerade stehen, dass sie das nächste Mal nicht sagen, „ach wäre ich doch lieber ins Kino gegangen“. Man muss sich der Konkurrenz stellen und ich bin für jeden Besucher dankbar, dessen Tag ich erhellen kann, denn das Leben ist schlimm genug. Es ist eine Kunst, das Glas halbvoll zu sehen, denn es halbleer zu sehen, ist leicht. Darum- wenn ich Menschen durch meine Arbeit das Leben etwas schöner machen kann, dann freut es mich, dann habe ich gewonnen. Wenn sie diese 1,5 – 2 Stunden bei mir waren und wir gemeinsam etwas mit dem Herzen erlebt haben, dann ist das cool. Aber ich muss für diesen Moment kämpfen. Das ist mein Job und den nehme ich sehr ernst.

Die Rolle des Inspector X ist eine gespaltene Persönlichkeit. Du teilst diese dir mit Andy Kuntz auf der Bühne. War es für Dich anfangs schwer, mit Andy diese eine Figur zu verkörpern und doch ein eigener Charakter zu sein?

Ehrlich gesagt war das gar nicht so schwierig, diese Zweihaftigkeit zu bekommen. Auf der Bühne habe ich erlebt, dass klare Aussagen besser sind als verwaschenes Gelaber. Ich muss erst einmal für die erste Hälfte des Stückes den „X“ etablieren. Ich muss X denken und fühlen und X sein, denn sonst kann ich doch nicht überrascht sein, wenn ich ER werde. Wenn ich schon vorher kopfiges Gelaber mache wie z.B. mit „ich bin es, oder doch nicht?“, dann ist das Quatsch. Dann leite ich das Publikum auf Glatteis. Das will ich nicht. Ich will eine klare Geschichte erzählen. Darum ist es eigentlich eine leichte Aufgabe. Das ist genauso wie bei Jekyll & Hyde. Sie müssen beide eigenständig sein und doch zusammen sein. Du kannst nicht beide verzahnt gleich spielen. Ich bin für klare Sachen. Es ist eine sehr dankbare Aufgabe, später die „Erkenntnis“ zu spielen. Das ist schön, aber ich bleibe trotzdem immer noch X. Ich werde nicht ER. Selbst am Ende wenn ich als X mit Edmond bei „Shadow I am“ verschmelze, dann ist da trotzdem nur noch Edmond auf der Bühne. Und er hat dann die schwere Aufgabe eine andere Figur zu spielen als er vorher war. Edmond sagt ja zuvor zu X: „Ha ha, Du hast versagt!“  Ich als X kontere mit „Wie? WER hat versagt? Mörder! Du bist derjenige, der den Leuten hinterher gestiegen ist, Du hast getötet, jetzt musst Du endlich mal die Musik sehen und Dein Bier austrinken. Jetzt tu nicht so, als wenn nichts passiert wäre!“ Wenn ich da anders spielen würde, wäre das Quatsch und das ist es, wo ich meinen Finger draufsetze, als X… Das ist wie unser Schulterengel. Der kann doch auch keine Teufelshörnchen aufhaben. Von der dramatischen Struktur her muss ich ihn klar spielen, damit X für das Publikum lesbar ist. Wie gesagt, es fiel mir nicht besonders schwer.

Thematisch scheint die Story gerade zu Anfang durchaus etwas komplexer zu sein. Man fragt sich, wer ist denn nun X, wer ist Edmond, was verbindet sie, …

Chris MurrayMan muss sagen, wir sind im Laufe der Zeit natürlich viel klarer im Spiel geworden. Das beginnt mit den Betonungen, den Manierismen… Das ist aber auch das Schöne daran. Wir haben ChristO jetzt einige Male gespielt und es hat sich viel  eingearbeitet. Holger Hauer, der Regisseur, ist immer dabei. Wir sitzen ständig daran und denken darüber nach, wie wir noch mehr daran arbeiten können… Erst heute in der Pause habe ich eine Textänderung gemacht. Z.B. fand ich es nicht so gut, dass die Leute immer über das Wort „Profiler“ gelacht haben, das hat mich sehr geärgert. Das Wort ist von der Fernsehserie CSI aufgebraucht. Ich finde, in diesem Moment, in dieser Szene einen Lacher zu haben, das ist ein Fehler. Zuerst hieß es in der Zeile: „ich bin Inspektor X und bin Profiler bei der ICPO…“  dann kam der Lacher. Ich habe dann zuerst das ICPO weggelassen… – immer alles in Absprache mit dem Regisseur. Ich arbeite bis zum Abwinken, bis zur letzten Vorstellung an einem Stück. Ich höre niemals auf. Darum haben wir wirklich bis 30 Sekunden, bevor der Vorhang aufging, noch am Text gesessen und gearbeitet. Wir leben von unserem Erfahrungsschatz, denn Holger und ich, wir sind seit über 20 Jahren im Geschäft. Wir hatten aber auch keinen Radikalschnitt seit der Premiere. Das entwickelte sich nach und nach und heute hat es gepasst. Wir haben nicht einfach nur die Premiere gemacht und dann gesagt „okay, das passt, und jetzt machen wir einfach nur Kasse, fertig!“

Kanntest Du den Inhalt des Stückes und die Rolle, für die Du vorgesungen hast?

Chris MurrayHolger Hauer hat mir das Stück am Anfang erklärt. Wir haben sehr lange gesessen und er hat mir alles sehr genau erklärt. Und genau diese Sache hat mich gereizt, genau diese Rolle, diese Idee, dieses etwas „nicht-hoch-das-Bein-machen-wollen“, sondern ein richtiges Musiktheater mit intellektuellem Anspruch. Ich bin immer dafür, wenn Du Etwas tust, dann tu es richtig oder lass es! Das war auch Holger Hauers Konzept, das mich fasziniert hat. Er hat ganz klar gesagt, entweder machen wir es so, aber auf keinen Fall machen wir eine falsche Kiste. Das wäre auch dumm gewesen, denn es glaubt einem ja eh keiner da draußen. In der heutigen Welt sind die Leute durch die digitale Technik in den Filmen Hyper-Realismus gewohnt. Da kann man nicht faken auf der Bühne, das merken die Leute, man muss richtig realistisch abliefern. Und deshalb freue ich mich, dass ich bei diesem Projekt dabei sein darf, das klar und realistisch umgesetzt ist.

War bei Dir auch der Reiz der Stilrichtung Metal da, die Du ja bisher noch nicht vertreten hast?

Chris MurrayNein, ehrlich gesagt nicht. Das Einzige, was mir sehr wichtig war, war der Inhalt, der Stoff des Stückes und die Einstellung dazu, weil es eine Weltpremiere ist. Musikalisch habe ich es gehört und dachte mir, dass das richtig gut werden kann. Abschreckend war es überhaupt nicht für mich. Metal hatte für mich jetzt keine Riesen-Relevanz. Die Band „Vanden Plas“ selbst hat mir auch gar nichts vorher gesagt. Ich kannte den Namen Andy Kuntz von seinen diversen Musicalprojekten, die er geschrieben hat. Deshalb wusste ich auch, es hat Hand und Fuß. Das war mir wichtig. Ja und dann gab es eben dieses Gespräch mit Holger Hauer- das war wunderbar. Wir haben uns zutiefst über das Stück unterhalten und seine Ideen, sein Zugang zu dem Stück, seine Intentionen haben mir sehr gefallen. Ob wir das schaffen oder nicht – das sei dahin gestellt. Aber mir gefällt es, wenn mir jemand in die Augen sieht und sagt „ich möchte Das und Das!“ – Meine Reaktion darauf war: Ja! Gut! Gehen wir den Weg zusammen, das ist doch cool!

Okay und dann kam die Arbeit mit Andy Kuntz und Vanden Plas mit ihrem musikalischen Leiter, Günter Werno. Die Arbeit war einfach wunderbar. Wir haben exzellent harmoniert. Wir hatten alle ein Ziel vor Augen. Es waren keine Egos in der Cast dabei, die da rumeierten. Das hat mir sehr gefallen.

Die Mischung der Cast ist hervorragend. Es mischen sich „alte Hasen“  zwischen Newcomer, Schulabgänger und Leute aus den verschiedenen Bereichen  wie reines  Musical oder Schauspiel. Vorausgesetzt, man möchte sich dafür interessierten, dann erkennt man diesen Bereicherungseffekt für das Stück selbst. Die Premierenpresse hat das ja nicht ganz so gesehen…

Chris MurrayIch habe die Pressereaktionen von den Printmedien genau so erwartet. Bis vor fünf Jahren habe ich meist nur Großproduktionen gemacht. Ehrlich- die Printmedien haben die Großproduktionen immer niedergemacht. Wenn Du was Großes machst, dann kommen alle und profilieren sich, indem sie schreiben „das ist doch alles Scheiße!“ Das ist reine Profilsucht. Ich habe noch niemals eine gute Kritik von den großen Tageszeitungen gelesen. Ich fordere jeden heraus: Wühlt doch mal in den alten „wir sind intelligenter als die ganze Welt“- Zeitungen und dann zeigt mir doch mal eine einzige positive Musicalkritik… und dann reden wir weiter. Die Kritiker, und ich meine jetzt nicht die Zeitungen, sind so eingeschränkt in ihren geistigen Möglichkeiten, dass sie gar nicht aus ihrem Ego rausgucken können… Da fällt mir ein: dazu gibt es einen brillanten Satz aus dem Film „Ratatouille. Da sagt der Kritiker, nachdem er dieses Restaurant ober kacke fand  und herausfindet, dass die Ratte Alles gekocht hat – das niedrigste aller Lebewesen- „In vielerlei Art und Weise ist das Leben eines Kritikers leicht. Wir sitzen und urteilen über die, die ihre Arbeit und oft auch sich selbst unserem Urteil ausliefern. Negative Kritiken machen Spaß zu schreiben und zu lesen“… Da hat er sehr viel Richtiges gesagt, denn Negatives zu sagen ist sehr leicht. Aber er geht dann einen Schritt weiter und sagt: „Aber die Aufgabe des Kritikers besteht manchmal auch darin, das Neue zu erkennen, auch wenn es von der bescheidensten Quelle kommt, die man sich hätte vorstellen können.“ Diesen Satz könnten sich manche Kritiker mal an den Spiegel hängen.

Wie kommt man denn dann am besten an konstruktive und fachliche Kritik?

Die Printmedien finden Musicals meistens ziemlich doof. Das liegt ehrlich gesagt daran, dass sie meist sehr arrogant sind. Die Internetmedien, dort findet die richtige Kritik für Musicals im Moment statt. Dort sitzen die richtigen Leute. Das ist leider traurig. Als ich die Weltpremiere von „Elisabeth-die Legende einer Heiligen“ in Thüringen gemacht habe, bekam das Stück von den Printmedien unfassbar lächerliche negative Kritiken. ABER: Das Stück hatte eine 104%-ige Auslastung! Waren die Leute alle dumm, die reingegangen sind? Waren alle im Publikum blöd, die applaudiert haben? Das sagen wir mal den Opernhäusern, wenn sie mit ihrer 30%-igen  Auslastung kommen und herumeiern. Von daher, schaut ins Internet, da findet man derzeit die besten Kritiken.

Woher meinst Du, kommt es, dass die Kritiken gerade in Bezug auf Musicals oft so unterschiedlich sind? Bei Opern sieht das oft ganz anders aus. Liegt es am Stück, an den Darstellern oder an den fehlbesetzten Kritikern?

Ich glaube, da ist sehr viel Arroganz dabei. Ich bin seit ich laufen kann im Opernbetrieb, bin dort sozusagen aufgewachsen. Das einzige Problem, was das Musical oft hat, ist, dass sie oft sehr schlecht besetzen. Sie glauben, sie sind im „Sprechical“ und nicht im „Musical“ und besetzen deshalb Menschen, die physisch gar nicht in der Lage sind, gesanglich die Rolle auszufüllen. Sie sollten ihre Darsteller besser rausstellen und nicht denken, nur weil sie jetzt dieses bestimmte Werk spielen, dass alle nur wegen dem Stück kommen. Die Leute kommen wegen dem Sänger/Sängerin oder dem Musiker/Musikerin. Die Opernhäuser machen auch vieles dahingehend falsch, dass sie in ihrem Jahresprogramm nicht einmal die Besetzungen bekannt geben. Sie geben dem Publikum keine Chance, sich an einen Darsteller zu binden. Sie denken, das Publikum würde nur wegen des Stückes hingehen, aber in Wirklichkeit gehen die Leute wegen der Sänger hin. Das ist in der Filmindustrie, wie beispielsweise mit „Herr der Ringe“, genau das Gleiche. Die Darsteller sind das Vehikel für ein Stück und die sollte man benutzen.

Chris MurrayDas ist vergleichbar mit der Welt der Oper. Man hat dort 400 Jahre Reportoire – Barock-Oper, Belcanto-Oper, die veristische Oper, bis zu  Wagner und dann gibt es auch noch die ganze moderne Ecke. Es gibt für jedes Fach Spezialisten. Wenn Du, z.B. eine Barock Oper machst, dann holst Du einen Köhler, für eine Belcanto Oper gibt es einen Villazon… usw. Ich bin ein Musical Spezialist. Natürlich sollte man mich an ein Haus holen, wenn man ein schweres Musical hat, wo man sagt, hier braucht man Spezialisten. Das ist wie in allen anderen Stücken. Die Idee, dass alle alles können ist Quatsch. Aber es gibt eigentlich so gesehen keinen Unterschied zwischen Musical und Oper. Die Leute in den Häusern müssen es einfach nur mal merken, dass wir ALLE Musiktheater machen. Es ist nur die Sprache der Musik die anders ist. Es wäre hanebüchen Puccini mit Händel gleichsetzen zu wollen und doch sind beides Opern. Was unterscheidet „LesMis“ von einem, sagen wir mal, „Il Tabarro“ von Puccini? Nichts! Nur der Musikstil. In LesMis sind es auch große Emotionen, jedes Wort ist gesungen. „ChristO“ zum Beispiel ist eines der wenigen Stücke, die das Zertifikat „Rockoper“ verdient haben. Da gibt es Wenige. Es gibt Jesus Christ Superstar, Tommy, dann kommt eine ganze Weile Luft und ein Haufen kleiner Ponys und dann gibt es ChristO. Es ist vom musikalischen Gestus her opernhaft, weil es ganz große nichtkammerspielhafte Emotionen zeigt. Das ist oft ein großes Markenzeichen von veristischer Oper. Ich habe eine ganze Menge Opern-Weltpremieren gemacht, und die waren teilweise so potthässlich, dass es niemanden interessiert hat. Ich finde es lustig, denn immer wenn ich gesagt habe, „Du ich mach da eine neue Oper“…, dann haben mich immer alle angeguckt als wenn ich gesagt hätte, „Du ich hab da so ne Wurzelbehandlung!“ Wenn ich aber sage „Ich mach ein neues Musical“ dann gucken die Leute und sagen „oh, interessant, wird es eine neue CD geben?“ Das Publikum hat eine komplett andere Erwartungshaltung.

Die Oper hat den Ball mit dramatischem Musiktheater fallen lassen, indem sie publikumsfeindliche Musik gemacht haben, die masturbatorisch für sich selbst intellektuell verbrämt daher kommt (grinst breit mit dem Kommentar: „Schöner Wortkonstrukt, ne?). Das ärgert mich, denn ich habe selbst solche Stücke gemacht und sie sind sauschwer und superhoch komponiert. Ich frage mich immer: Warum schreibt ein Komponist so etwas, wo er doch wissen müsste, dass es keiner hören will? Gibt es etwa einen ursächlichen Zusammenhang damit, dass in der Zeit, in der Fotografien aufkamen, gleichzeitig die abstrakte Malerei begann? Genau diese Entfernung des Musiktheaters in das abstrakte Atonale ist passiert. Das ist eine Sackgasse, in welche die Oper hineingeirrt ist und bis heute nicht mehr herausgefunden hat. Es wurden Exkursionen in den Minimalimus unternommen, so wie beispielsweise „Die Schöne und das Biest“ von Philip Glass. Ich vergleiche das mit „C-Dur-Seligkeit“, denn es wird 15 Minuten lang nur der C-Dur Akkord wiederholt. Das ist Minimalismus, sozusagen die reaktionäre Bewegung auf den Atonalismus, auf dieses kakophone Zusammenstürzen von Tönen. Das Gefühl entsteht, es würden nur noch Mathematiker am Pult sitzen, die in ungebremster Begeisterung schweben, weil das ja „so obergeil notiert ist!“ ABER: es WILL keiner hören!!!

Chris MurrayDieser Ball des dramatischen Musiktheaters wurde fallen gelassen, aber das Musical hat den Ball aufgehoben. So sind jetzt Stücke wie Les Mis oder Phantom der Oper- vollblütige Opern übrigens – oder auch ChristO heute im Musical zuhause. Die ganze seichte Ecke ist daneben weitergelaufen, wie Mamma Mia oder Miami Nights. Das ist die Abspaltung. Das Musiktheater wie hier – lebendiges Musiktheater – ist durch Nichts zu ersetzen. In den 50er und 60er Jahren setzte sich die Atonalität durch und hat die Oper leider verflucht zu einer publikumslosen, kassenschonenden Welt. Ich habe es selbst erlebt, dass Musicals abgesetzt wurden, weil sie „nur“ eine 95 %ige Auslastung hatten, obwohl Opernstücke am selben Theater eine Auslastung von 30 % aufwiesen… WIE BITTE??? … Ich bezeichne das als Bigotterie der Leute, die glauben, dass Oper nicht Musiktheater ist, sondern eine gefeierte hehre Kunst! Es IST Musiktheater! Es ist unglaublich, wie publikumsunwirksam Inszenierungen produziert werden, mit welchem riesen-teuren Aufwand die Bühne aufgebaut wird- und dann überlebt es nicht einmal ein halbes Duzend Vorstellungen… Da ist eindeutig etwas falsch. Daher kann ich nur warnen: Wir dürfen den Weg der Oper nicht einschlagen – mit publikumsverscheuchenden Inszenierungen und intellektueller Abgehobenheit auf der Bühne. Unser Ziel muss sein, dass wir unser Publikum erreichen – ehrlich, wenn sie gar nicht erst kommen, dann kannst du sie auch nicht belehren (muss loslachen!). Ich freue mich, dass wir das mit ChristO schaffen. Am Abend sehe ich Menschen die jubeln, sie geben langen Applaus, sie stehen auf. Das ist für mich ein Indikator, dass ich irgendwo am Abend Erfolg hatte und dass sie nicht sagen  „wie gut, dass wir nicht am Abend beim Fußballspiel geblieben sind“. Das ist unser Ziel. Bei anderem Musiktheater bleiben leider viel zu viele Menschen zu Hause und die Theater werden geschlossen. Darum bin ich so froh, dass ich in der lebendigsten Form des Musiktheaters gelandet bin, die es im Moment in der Welt gibt. Ich habe die große Ehre und Freude mit lebenden Komponisten zu arbeiten welche auch die Menschen interessieren.

Wie war das gesamte Werk „ChristO“ für denn Dich, wenn Du jetzt schon Resümee ziehen sollst?

Wie war das Stück? ChristO hat Diskussionen ausgelöst. Kaum eine Oper löst eine Diskussion aus.  Wenn, dann nur durch ihre Provokationen und Skandale. Es freut mich bei ChristO, dass das Stück selbst diskutiert wird. Die Menschen fragen mich „Wie war das? Was war da los? Oder sie sagen: das hat mich berührt!“ Dann verstehen sie es. Genau das ist für mich lebendiges Musiktheater, es erreicht die Menschen. Ich freue mich, dass ich fröhlich „JA“ antworten und sagen kann – „ich bin Musicaldarsteller!“ Ich finde, das ist ein Stolz, den viele in diesem Metier noch entwickeln müssen. Oh ja, die Welt ist einfach zu voll mit Musicaldarstellern, die tun, als ob sie keine sind. Als ich meine CD rausgebracht habe, sagten mir etliche Kollegen: „Ach, was bringst Du denn so ne CD raus- mit Musicalnummern? …  Wenn ich eine CD rausbringe, dann nur mit neuen Versionen von Pop- und Rocksongs!“… Ich dachte mir dann nur – sag mal, wer bist Du denn? Deutschland sucht den Superstar, oder was? Ich BIN Musicalsänger! Es werden immer wieder neue Stücke geschrieben, die Menschen interessieren. Deswegen freue ich mich auch so, dass ich hier genau dieses Projekt miterleben durfte.

Gibt es denn so etwas wie Deine liebste Szene in ChristO?

Ganz klar: „Shadow I am!“ Das ist emotional und musikalisch gesehen eine der stärksten Nummern in dem Stück. Ich finde, gerade musikalisch gesehen ist die Nummer ein echtes Highlight. Sie ist auch von der Aussage einfach eine richtig gute Nummer.

Ruhig wird es bei Dir anscheinend nie. Aber, was machst Du so, wenn Du mal nichts zu tun hast?

(Seine Augen blitzen erfreut auf) … mit meinen Kindern spielen, basteln und ich bin leidenschaftlicher Computerspieler. Ich liebe Computerspiele, weil sie mich in eine andere Welt entführen, aber es darf kein Gedödel sein, es muss Strategie haben. Es wird darin eine richtige Welt aufgebaut. Das Gute dabei ist, ich kann jederzeit auf Pause drücken und zurück in meine Arbeit gehen. Das ist für mich eine herrliche Flucht aus dem ganzen stressigen Beruf in eine Welt, die immer noch spannend, aber doch auch kreativ herausfordernd ist, weil man eine Geschichte erzählt bekommt. Das macht einfach Spaß. Ansonsten hab ich natürlich die Familie und die zwei süßen Kinderchen, die mich immer noch auf Trab halten (lacht amüsiert und grinst dabei breit).

Du hast beruflich so ziemlich alles erreicht, was man sich als Darsteller doch wünschen kann! … Oder gibt es noch Wünsche, die Du uns verrätst?

(stöhnt auf) Um Gottes Willen! Ja! Ich möchte unbedingt Caractacus Potts im Musical  „Tschitti tschitti bäng bäng“ spielen!  Das ist einer der Lieblingsfilme meiner Kinder und ich würde sooo gerne die Rolle spielen, weil ich finde, dass es ein herzerwärmendes Stück ist. Ich spiele aber auch immer wieder gerne Rollen, wo ich nicht auf der Bühne sterbe…(muss loslachen!) Darum würde ich Caractacus Potts sehr, sehr gerne spielen. Aber es gibt noch so einige spannende Sachen. Es wird andauernd neue Musik geschrieben.  Da ist noch Viel, was ins Visier genommen werden kann.

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