„Kein Pardon“ feierte am 06.05.2017 Premiere in Leipzig

© Tom Schulze

Der Ruhrpott wurde nach Sachsen verlegt! Wer kennt ihn nicht, den Kultfilm aus dem Jahre 1993, in dem Hape Kerkeling Peter Schlönzke spielt?! Das Musical, welches darauf beruht, lief knapp über ein Jahr lang, bis Ende 2012, in Düsseldorf. Nun stehen einige Künstler, die schon in der früheren Produktion mitgemacht haben (Iris Schumacher, Julia Waldmayer und Benjamin Sommerfeld) zusammen mit dem Ensemble aus Leipzig (Chor der Musikalischen Komödie, dem Ballett und der Komparserie) und dem Gast H.-G. Pachmann auf der Bühne der Musikalischen Komödie und bescheren den Zuschauern einen lustigen Abend. Das Musical, von Thomas Hermanns inszeniert, wurde in eine Fassung für die Theaterbühne mit großem Orchester und mit Chor (Musikalische Leitung Stefan Klingele) adaptiert. Im Vordergrund steht Peter Schlönzke – hervorragend von Benjamin Sommerfeld gespielt -, der jeden Samstag Abend im Rahmen seiner Familie, bestehend aus Mutter Hilde (Iris Schumacher), Oma Hilma (Anne-Kathrin Fischer) und Opa Hermann (Hans-Georg Pachmann) auf dem Sofa der damaligen gutbürgerlichen Wohnung, mit röhrendem Hirschbildern an der Wand, das buten Treiben der Glitzerwelt im Fernsehen verfolgt, in dem die ganze Familie „Witzigkeit kennt keine Grenzen“ mit dem beim Publikum beliebten, aber hinter den Kulissen cholerischen Heinz Wäscher (Cusch Jung) anschaut. Zwischen Schnittchen schmieren für den „mittelständischen Betrieb“ der Familie, „Schlönzkes Schnittchen Laden“, und den Fernsehabenden, fragt sich Peter, was es wohl noch alles gibt – passend dazu schickt ihn seine Mutter überraschend zum großen Casting für das „Talent des Jahres“ von „Witzigkeit kennt keine Grenzen“. Dort lernt er die dort arbeitende Ulla (Julia Waldmayer) kennen, die aber schon bald einen neuen Job in London anfängt. Peter kommt zeitglich durch einen dummen Zufall dazu, der neue Moderator von „Witzigkeit“ zu werden und Wäscher, von Starallüren geplagt und nur am Meckern, muss gehen – Peter zur Seite steht nun ein Team: Bertram (Andreas Rainer), Walter, (Michael Raschle), Doris (Sabine Töpfer) und Käffchen Karin (Nora Lentner).

© Kirsten Nijhof

Frisch, jung und unverbraucht – so wird Peter gesehen. Aber auch vor ihm macht die Maschinerie des Fernsehens nicht halt. Wird aus dem am Anfang so sympathischen jungen, motivierten Mann in kürzester Zeit jemand, der dem alten Wäscher ähnelt: Er hat keine Zeit, ist genervt vom Autogramme geben und ist eingebildet. Bei der TV-Nachmittagsshow „Karin und Leute“, von der ehemaligen Käffchen Karin moderiert, kommt es zum Eklat: Peter trifft auf seine Familie, die ungeniert Anekdoten aus Peters Kindheit zum Besten gibt, worauf hin Peter die Show verlässt. Zurück bleibt eine traurige Mutter. Dem TV-Team blieb auch nicht Peters Wandel verborgen und es kommt so, wie es in der Fernsehwelt immer ist: Er wird kurzerhand ausgetauscht und steht auf der Straße. Seine Familie nimmt ihn nach dem Auftritt bei „Karin und Leute“ schweren Herzens erst einmal nicht mehr auf, um ihm eine Lektion zu erteilen. Ihm steht immer noch Ulla zur Seite, obwohl er sich bei ihr seit einem Jahr auch nicht mehr gemeldet hatte und so schmieden sie einen Plan, in den auch Heinz Wäscher intrigiert ist, um das Herz der Familie Schlönzke wieder zurück zu erobern.

Dass diese Produktion auch an einem kleineren Theater laufen kann, zeigt sich in Leipzig. Wer mit einer eins zu eins Übernahme gerechnet hat, wird an manchen Stellen überrascht sein: Sowohl der Opener mit dem kleinen Peter Schlönzke, der vor dem Fernseher sitzt und Flipper schaut, als auch „Bottrop Beach“ wurden gestrichen. Man ist gleich in der Handlung an dem Automaten, der die Glücksmelodie für Peter abspielt. Sommerfeld spielt Peters Wandel vom naiven, liebenswerten jungen Mann bis hin zum überheblichen und selbstverliebten Moderator absolut glaubwürdig und auch sein Gesang ist einwandfrei.

© Tom Schulze

Iris Schumacher ist für die Rolle der Mutter Iris die perfekte Besetzung und man kann sich freuen, sie wieder auf der Bühne zu sehen. Neu als Oma ist Anne-Kathrin Fischer, seit 35 Jahren an der Musikalischen Komödie tätig; sie fügt sich sehr gut in die Familie ein. Des Weitern spielt Hans-Georg Pachmann gekonnt den Opa Hermann, der mit dem Ruhrpott-Song „Dat wär doch gelacht“ sogar das sächsische Publikum zum Mitklatschen animieren kann.

Die Rolle des Heinz Wäschers hatten schon viele Prominente, angefangen mit dem leider verstorbenen Dirk Bach, Thomas Hermanns über Roberto Blanco, dem ebenfalls verstorbene Achim Menzel und anderen. Cusch Jung lebt diese Rolle förmlich. Vom Ausraster, weil das Licht nicht arizona blau, sondern gelb ist, über den nie Zeit habenden Starmoderator, der auch mal die Showgirls begrapscht, bis zum in Erinnerungen schwelgenden arbeitslosen Moderator leistest Jung hervorragende Arbeit.

Julia Waldmayer kennt man ebenfalls schon in der Rolle der Ulla aus Düsseldorf. Sie gibt die Coole und Selbstbewusste, kann sowohl stimmlich (zum Beispiel bei „Klingelstreich“), als auch schauspielerisch überzeugen und kommt perfekt als Kumpel für Peter rüber.

© Kirsten Nijhof

Nora Lentner spielt die Karin, die immer für den Kaffee (oder Tee?) zuständig ist; aufgedreht zu sein, ist ihre Rolle, später hat sie sich in eine unsympathische Moderatorin verwandelt. Schön zu sehen ist dabei, wie beide, Peter und Karin, vor ihrer Karriere nette Menschen waren, die durch ihre Rolle beim Fernsehen sich sehr zum negativen geändert haben und auf die Gefühle der anderen keine Rücksicht mehr nehmen.

Die kreativen Köpfe hinter „Witzigkeit“ sind Bertram (Andreas Rainer), Walter (Michael Raschle) und Doris (Sabine Töpfer). Sie sprechen erst Wäscher und auch Peter gut zu, hinter deren Rücken sieht es aber anderes in ihnen aus und so folgt dann, für die Moderatoren plötzlich, die Entlassung. Rainer spielt den Bertram mit seinem österreichischen Akzent hervorragend, er hat eine große Bühnenpräsenz. Raschle ist als Walter zurückhaltender, aber ebenfalls eine sehr gute Besetzung. Die Rolle der Doris, die man als sehr aktiv, schon fast hyperaktiv, in Erinnerung hat, ist in Leipzig sehr ruhig angelegt, was leider etwas dem Part seine Spritzigkeit nimmt. So kommt die Rolle leider nicht ganz so sympathisch rüber, was aber nicht an Töpfer liegt, sondern daran, wie die Rolle an dem Hause ausgelegt wurde.

© Tom Schulze

Man sieht: Eine durchaus sehr gute Wahl bei der Besetzung, da gibt es gar nichts auszusetzen, nur zu loben. Ebenfalls das Bühnenbild (Hans Kudlich) kann überzeugen – ohne Drehbühne, die aber auch nicht fehlt, umrahmt von einem großen Fernseher. Man fühlt sich gleich in die Zeit zurückversetzt, in der man als Kind zusammen mit der Familie die Samstag Abende vor dem Fernseher verbrachte. Jeder, der nun etwa zwischen Mitte 30 und 40 Jahre alt ist, wird an seine Kindheit zurück gedacht haben. Mit einfacheren Mitteln wurde hier das Stück inszeniert, was dem Gefühl, welches das Stück vermittelt, aber keinerlei Abbruch tut. Die Kostüme von Mario Reichlin sind noch das Tüpfelchen auf dem i. Die perfekte Nachahmung von der Kleidung, die man zu der Zeit trug, wie zum Beispiel der typische Kittel, oder auch schöne Glitzer-Outfits für die Showgirls.

Dass die Show etwas an Schnelligkeit und Power verloren hat, ist der einzige Kritikpunkt. So mussten natürlich einige Lieder dem Chor und dem Orchester angepasst werden, was zum Leid der Tempi ging. So sind mache Songs, die der Zuschauer noch rockig im Ohr hat, zu einer anderen Nummer umfunktioniert worden, wie „Fernsehland“ (vom Chor sehr langsam gesungen; wenn man den Text nicht kennt, wird der Zuschauer an dieser Stelle diesen leider auch nicht verstehen können) oder „Ab jetzt ein Star“. Langsamer als gewohnt kommen auch „Klingelsturm“ und „Wild und frei“ daher.

© Kirsten Nijhof

Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall: Eine tolle Cast, eine schöne Handlung, bei der die Zuschauer mit Sicherheit viel Freude und Spaß haben werden! Allen voran die wunderbaren Benjamin Sommerfeld und Cusch Jung.

Elf weitere Termine gibt es noch bis Mitte Juni, bis dann in der Spielzeit 2017/2018 eine Wiederaufnahme erfolgt. Weiter Infos gibt es HIER.

Tip: Eine sehr schöne Idee ist das Programmheftchen – dort kann man mit dem Smartphone und der dazugehörigen App Bilder scannen, hinter denen sich kleine Filmchen, zum Beispiel Interviews , verbergen.

 

 

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