Ganz oder gar nicht – The Full Monty

Premiere am 11.11.2011 im Opernhaus Dortmund

Die Arbeiter eines Stahlwerks sind nach ihrer Entlassung arbeitslos, während ihre Frauen nun in den meisten Fällen das Geld nach Hause bringen. Damit geht jeder Charakter anders um. Während das Muttersöhnchen Malcolm immerhin noch als Nachtwächter im Stahlwerk angestellt ist, der emanzipierte Dave nun den Staubsauger schwingt und Harald, der nicht nur die Stahlarbeiter sondern auch sich selbst wegrationalisierte, seiner Frau vorspielt weiterhin zu arbeiten, plagt Jerry ein Sorgerechtsstreit um seinen Sohn Nathan.

Und während alledem gastieren die Chippendales in der Stadt und verzaubern mit ihren unnatürlichen Körpern die Frauen.

Was liegt da nahe? Jerry hat die zündende Idee und denkt sich, dass die Frauen echte Kerle sehen wollen und so stellt er mit einigen Anlaufschwierigkeiten eine Truppe von echten Kerlen zusammen, die es der Frauenwelt zeigen wollen. Sie kämpfen nicht nur gegen ihre inneren Schweinehunde, sondern auch gegen ihr eigenes Ego, denn einige von ihnen fragen sich bereits, ob sie überhaupt noch zu etwas gut sind.

Terrence McNally schrieb das Buch zu dem Musical von David Yazbek und belebte die Geschichte auf eine bestechende Art und Weise. Das Stück hat Charme, geht unter die Haut und triumphiert mit seiner ganz eigenen Art von Komik. Iris Schumacher und Frank Thannhäuser steuerten die deutschen Texte bei.

Auch wenn die Inszenierung von Gil Mehmert anfangs ein wenig befremdlich wirkt, so ergänzen die Bühne und Kostüme von Heike Meixner, die Choreographie von Kati Farkas, die Lichtgestaltung von Bernd Sack und nicht zuletzt die Dramaturgie von Georg Holzer das Stück sehr schnell und die anfängliche Verwirrung löst sich schnell auf.

Die treibende Kraft in Sachen Strip-Show ist Jerry Lukowski, der sehr eindrucksvoll von David Jakobs dargestellt wird. David hat erst in diesem Jahr sein Diplom erhalten, doch er besticht durch eine facettenreiche Stimme und ein grandioses Schauspiel. Anfangs noch völlig von seiner Idee überzeugt, überzeugt er auch „Dickerchen“ Dave, der auf Grund seiner Gewichtsprobleme an sich selbst zweifelt. Doch kurz vor der Show hat er die Hosen voll und zweifelt zum ersten Mal ernsthaft nicht nur an sich. Hat er doch vorher mit allen Mitteln um seinen Sohn gekämpft.

Patrick Stanke spielt „Dickerchen“ Dave Butakinsky auf eine amüsante und auch mitfühlende Art. Er ärgert sich über Spitznamen, die andere ihm geben, über seine Figur und doch mimt er den sanften „Riesen“. Seine und Davids Stimme harmonieren im Duett eindrucksvoll und sorgen für so manche Gänsehaut.

Das authentisch von Tim Ludwig dargestellte Muttersöhnchen Malcolm kämpft ebenfalls an mehreren Fronten. Er hat weder Freunde, noch eine Freundin, nur noch einen Job als Nachtwächter und kümmert sich vorsorglich um seine pflegebedürftige Mutter. Da er keinen Sinn in seinem Leben sieht, versucht er sich umzubringen, doch Dave und Jerry retten ihm, nach einigen Turbulenzen, das Leben. Eine neue Freundschaft entsteht. Glaubt man dem folgenden Lied, so helfen Freunde einem sogar, wenn man sich umbringen will. Die ganze Szene strotzt vor Sarkasmus, doch gerade dieser Sarkasmus berührt den Zuschauer.

Ebenfalls sehr authentisch stellt sich der Charakter des Harald da. Der Anzugträger war derjenige, der die Arbeiter entlassen hat und sich gleichzeitig ebenfalls um den Job brachte. Dirk Weiler als Harald und Melanie Wiegmann als seine Frau Vicky stellen die zwei wunderbar überspitzt dar. Ein Ehepaar gehobenen Standards mit all den Klischees, so walken die zwei u.a. in altmodischen Anzügen über die Bühne und nicht nur in dieser Szene für Lacher.

Neben Melanie Wiegmann ist es Sabine Ruflair als Georgie Butakinsky, die den Herren der Schöpfung am Ende des Stückes beibringen, dass Aussehen und Wohlstand nicht alles sind. Die Liebe zu ihren Männern ist ihnen mehr wert als jeder stählerne Körper oder jedes teure Schmuckstück.

Während Marty, der von Markus Schneider verkörpert wird, allein wegen seiner „Größe“ in die Tanztruppe aufgenommen wird, wartet Noah „Horse“ T. Simmons, trotz seines Alters durch Stimme und Tanzkunst auf.

Die Jungs könnten also nicht unterschiedlicher sein: Zu klein, zu dünn, zu fett, zu alt, zu flachbrüstig etc. Und dies zeigen die eigentlich kreischenden Damen der Begierde, eindrucksvoll von Johanna Schoppa, Verena Mackenberg, Melanie Wiegmann, Julia Klotz und Sabine Ruflair dargestellt, kurz vor dem Auftritt offenherzig. Um den miesen Vorverkauf anzukurbeln, verspricht Jerry ihnen, dass sie im Gegensatz zu den Chippendales alle Hüllen fallen lassen. So ruft er das Motto „Ganz oder gar nicht“ ins Leben.

Bei all den Vorbereitungen und Auditions ist auch Nathan, Jerrys Sohn, mitunter eine treibende Kraft. Der Junge, der überzeugend von Tina Haas verkörpert wird, setzt sein Vertrauen in seinen Vater und leiht ihm die notwendige Provision, um den Auftritt vorab zu finanzieren. In dieser Szene fühlt jeder mit Jerry mit.

Obwohl Dave ausgestiegen war, fasst er sich durch die Worte seiner Frau Georgie ein Herz und steigt kurzfristig wieder ein. Doch letzten Endes ist es Jerry, den sein Mut verlässt, und so beginnt die Show ohne ihn. Ob er sich letzten Endes doch noch ein Herz fasst? Und wie steht es mit dem Motto „Ganz oder gar nicht“? Haben die sechs Herren der Schöpfung den Mut, wirklich jede Hülle fallen zu lassen?

Dieses Stück ist unumstritten sehr gewagt, aber auch authentisch und nachdenklich stimmend. Es zeigt, dass „wahre Größe“ nicht immer das ist, was wir uns darunter vorstellen. Mit Witz und Charme werden Alltagsprobleme dargestellt und verarbeitet. Alles in allem ist es einen Besuch wert.

Sabine Dettloff für Musicalfotojournalismus

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